Wieduwilts Woche: Die Taschen vollmachen im toten Winkel der Politik - n-tv.de

2023-01-05 16:56:24 By : Mr. Felix-Henan Zoke Crane

Statt im Parlamentspräsidium sitzt Eva Kaili mittlerweile in U-Haft.

(Foto: picture alliance / ANE / Eurokinissi)

Brüssel, Straßburg und Luxemburg sind ferne Orte: Was dort passiert, bekommt selten Aufmerksamkeit. Liegt im Korruptionsskandal auch eine Chance für Europa?

Eigentlich ist Korruption ein subtiles Geschäft: Gefallen hier, komische Abrechnung da, so etwas halt, dann nach ein paar Jahren Polizei, Aktenberge im Gericht, Gefängnis. Doch nun kommt ausgerechnet das dröge Parlament der EU daher und schreibt eine fetzige Story über mit Geldscheinen vollgestopfte Taschen unter einer Kinderwiege. Die Hauptverdächtige ist eine mittlerweile abgesetzte Parlamentsvizepräsidentin und dermaßen grenzwertig schön, dass zur Stunde die "Süddeutsche" in zwei Texten debattiert, ob man Eva Kaili als attraktiv bezeichnen "darf".

Säcke voll Geld aus Katar für eine schöne Kriminelle, es ist ein Skandal wie aus einem Lustigen Taschenbuch. Was kommt als Nächstes? Verbrecher in roter Gefängniskleidung und schwarzen Augenbinden brechen in ein mit Münzen gefülltes Gebäude ein, um einen Milliardär mit Zylinder zu beklauen?

Die Spitze der Absurdität bildete freilich das Timing: Einen Tag nachdem die Polizei die Taschen voller Geld bei einer Parlamentarierin eingesammelt hatte, fror dasselbe Parlament 13 Milliarden Euro Fördergelder ein - wegen Korruption in Ungarn. Bei so einer guten Vorlage schaffte sogar Viktor Orbán einen passablen Witz.

Vor Schreck bin ich erst einmal zum Haareschneiden, denn ein Gespräch mit meinem Friseur führt meist zu schneller Erdung. Das Abgehobenste im Salon sind hier Ideen für einen Pony. Mein Friseur hat die Sache mit den Taschen voller Geld natürlich gelesen. "Jetzt denken natürlich alle wieder, die in Brüssel seien korrupt!", sage ich und übe im Spiegel einen tief besorgten Blick. "Ist ja auch so", brummt mein Friseur fröhlich, während er mit gnädiger Beiläufigkeit ein Haar aus meiner Ohrmuschel rasiert. Besorgt scheint er nicht zu sein, überrascht auch nicht.

Mir wird klar: Er hat längst resigniert und wenn schon nicht die Politik als Ganzes, so doch jene in Europa aufgegeben. Ist ja auch weit weg, blau-grau und verschroben, dieses Trio aus Brüssel, Straßburg, Luxemburg. 14 Vizepräsidenten hat das Parlament. Warum so viele Posten? Das weiß offenbar niemand so genau, nicht einmal die Leute, die auf ihnen sitzen: "Tja, da fragen Sie jetzt die absolut Falsche", sagt die absolut Richtige, nämlich Vizepräsidentin Katarina Barley, dem ZDF-Journalisten Christian Sievers. Sie schiebt nach: "Das war schon so, als ich hierherkam". Ihre Vize-Präsidentinnenkollegin Nicola Beer von der FDP begründet im Deutschlandfunk die Vize-Völlerei damit, dass das Parlament "rund um den Erdball" im Gespräch sei.

Mein Friseur bürstet die Haare fort und singt dabei leise Karel Gott: "Einmal um die ganze Welt und die Taschen voller Geld".

Wo wenige Augenpaare hinschauen, stellt niemand groß Fragen. Das ist fatal: Obwohl das meiste Recht in Deutschland in Brüssel ausbaldowert wird, ist Brüssel selten echtes Gesprächsthema. Das spürt man auch dort: Man ist unter sich, man kennt sich, man spricht Englisch oder Französisch, man lacht über dieselben Insiderwitze und geht in eine Hand voll Restaurants. Es schaut allenfalls ein bisschen internationale Presse zu und ein paar EU-Korrespondenten - oft genug müssen diese ihre Heimatredaktionen erst bezirzen, damit die sich überhaupt für die vermeintlich drögen Themen interessieren.

Das führt regelmäßig dazu, dass unser Leben durch Regeln bestimmt wird, über die kaum gestritten wurde. Beispiel: das kleinkarierte Datenschutzrecht etwa, die "Datenschutzgrundverordnung". Sie fiel mehr oder weniger plötzlich und undebattiert vom Himmel und kostet Unternehmen jedes Jahr Geld, bindet Personal und erschwert nach Einschätzung des Branchenverbands Bitkom sogar die Digitalisierung.

Und die nächsten Überraschungsregeln sind schon auf dem Weg: Nachdem die EU den Menschen die Daten ordentlich vergällt hat, will sie nun den Binnenmarkt zu digitalen Aktivitäten ermuntern, mit allerlei Gesetzen, von denen hierzulande bisher nur ein paar Fachleute wissen: Kennen Sie das Daten-Governance-Gesetz, das Datengesetz (ja, das sind zwei verschiedene), das Digitale-Märkte-Gesetz, das Digitale-Dienste-Gesetz (wieder zwei verschiedene, ich denke mir das nicht aus), die Open-Data-Richtlinie und das KI-Gesetz? Wenn Sie diese Namen irritierend finden, erklären Sie doch erst einmal den Unterschied zwischen Europarat, Rat der EU und Europäischem Rat.

Bürgernähe steht in Brüssel also nicht unbedingt an erster Stelle. Wenn dann so eine Korruptions-Stinkbombe ins Polit-Idyll platzt und Journalisten auf einmal wirklich drängende Fragen stellen, kann das sogar die Kommissionspräsidentin überfordern. Als Ursula von der Leyen auf einer Pressekonferenz nicht komplett überraschend wegen der Geldtaschen befragt wird, möchte sie nicht antworten. Ihr Stellvertreter hatte zuvor Katar gelobt, dort sollen die Scheine herkommen, die Frage liegt also eigentlich nahe. Die Journalisten werden richtig wütend. "Sie haben keine einzige Frage beantwortet", ruft einer erst auf Englisch, dann auf Deutsch.

Parlamentspräsidentin Roberta Metsola präsentiert sich derweil als oberste Korruptionskämpferin. Die FAZ erwähnt aus diesem Anlass maliziös, dass Metsola ihren Kabinettchef als Generaldirektor des Parlaments durchgeboxt habe, in einem "intransparenten Verfahren" und mit "einem jener Paketdeals verbunden, die in Straßburg üblich sind, aber nicht zu den ethischen Höchstleistungen zählen".

Noch so eine Geschichte aus dem toten Winkel der Politik. Womöglich lohnt es sich ganz grundsätzlich, ein bisschen mehr auf die europäischen Machzentren zu schauen - oder man singt ein bisschen Karel Gott und macht weiter wie bisher.